Das Leben, das Universum und der ganze Rest
Mein Treppenhaus piept.
Erst haben wir es gar nicht bemerkt. Vielleicht monatelang... Es ist ein hoher Ton, wie dieses alte Gewinnspielsignal von ProSieben, oder der Standardton von dem ProSieben-ICQ. Irgendwann ist mir aufgefallen, dass ich das Geräusch damit assoziiere - obwohl wir keinen Fernseher in der Wohnung haben und kein ICQ benutzen. Dann ist mir aufgefallen, dass ich das Geräusch sehr oft höre, wenn ich zu Hause bin. Dann habe ich meine Mitbewoherin gefragt. Die hatte das Geräusch vorher gar nicht wahrgenommen und kann nun nicht aufhören, darüber nachzudenken.
Seitdem rätseln wir. Es ist nicht in der Wohnung, es ist im Treppenhaus. Wir hatten das große Oberlicht in Verdacht, den Wind, irgendein Metall, ein elektrisches Gerät in irgend einer Wohnung, den nahe gelegenen Bahnhof samt Gleisen... nichts macht Sinn. Es scheint immer aus verschiedenen Richtungen zu kommen, manchmal hört man es sogar, wenn man noch draußen steht und gerade die Tür aufschließen will. Und es ist - da sind wir uns sicher - nicht schon immer dagewesen.
Wir kommen einfach nicht darauf, was es ist. Mittlerweile haben wir das Rätseln fast aufgegeben und einfach beschlossen, dass es spukt. Piep, der Hausgeist. Außerdem haben wir beschlossen, dass es ein sehr netter Hausgeist ist, der niemandem was tun würde.
Wenn man im Treppenhaus unterwegs ist, und es piept, dann denkt das Gehirn immer, man wäre etwas schief aufgetreten und der Schuh hätte gequietscht. Kognitive Täuschung, wir wissen ja, dass es ständig piept. Heute dachte ich, es käme aus dem kleinen Gang zur Eingangstür. Heute Morgen war es ganz bestimmt noch so, ich war nur viel zu spät dran, als dass ich hätte stehen bleiben und es prüfen können. Aber jetzt! Verschlagen bleibe ich stehen und starre die Apperaturen, die dort hängen an. Es piept. Von oben.
"Schön, du lässt dich eben nicht erwischen", denke ich zu dem Geist, als ich die Treppen hochgehe. Und überlege. Wenn es doch ein rationales, mechanisches Geräusch ist... (ich will das ja nicht ausschließen) dem wir einen Geist zuschreiben - dann haben wir, T. und ich, diesen Geist vielleicht aus dem Nichts erschaffen. Eine Existenz kreiert, der wir eine Seele und Charaktereigenschaften gegeben haben - sogar einen Namen. Irgendwie gibt es ihn jetzt, den Piep. Ist das jetzt unser Geist?
Natürlich ist es ein Geräusch und irgendwas reales, physisches. Nur dass ich das gerne ignoriere, heißt ja nicht, dass ich mir dessen nicht bewußt bin. Aber es ist auch ein Geist... eine Geschichte, ein kleines Ding mit Seele und Eigenschaften, die über die Mechanik hinausgehen. So wie die Herbstblätter wie Geister sind, wenn sie um mich herumtanzen, unter meinen Füßen weghuschen, ich aus dem Augenwinkel ihre Schatten sehe und denke, es sind Tiere. Und es ist ein Rätsel - so wie Amélies Mann aus dem Fotoapperat. Sollte es sich eines Tages lösen, wird bestimmt die Luft ganz golden, für einen Moment.
Ich glaube, heute ist kein guter Tag.
Vieles ist nicht in Ordnung, ich finde meine superwichtigen Papiere nicht, hab nicht alle Kurse, die ich brauche, muss noch Sachen lesen, auf die ich keine Lust habe. Das Wetter ist grau.
Ich habe die Verabredung mit einer Freundin einfach vergessen und bin nicht hingegangen.
Statt dessen war ich in der Innenstadt einkaufen und habe versucht, eine violette Kugelschreibermine zu bekommen. Kannste ja vergessen. Wenn man blaue will, kann man sie in allen denkbaren Formen und Preisklassen kriegen, aber lila gibt es nicht. Warum sollten auch nicht alle Menschen mit der gleichen Farbe schreiben wollen? Blau ist doch schön. Wenn man die Verkäuferinnen dann fragt, ob sie nicht auch vielleicht welche in violett... dann werden sie gleich ganz ruppig.
"Nein!" und zwar mit Ausrufezeichen und kursiv. Gesprochen. Sie haben diese wunderschönen Collegeblogs, die statt den üblichen Deckblättern richtige bunte Kunstwerke als Deckblatt haben und das zehnfache kosten. Das, so wollen sie uns einreden, brauchen wir... alles muss schön und individuell sein. Aber andersfarbige Kugelschreiberminen sind nicht drin.
Und dann habe ich mir eine CD gekauft - um mich besser zu fühlen. Ich muss gestehen, das mache ich nie. Ich hab nur ganz wenig Musik auf richtigen CDs... Wäre es nicht so einfach, Musik anders zu bekommen, hätte ich trotzdem keine CDs. Dann würde ich einfach weiter Radio und Mixtapes hören, wie ich es früher gemacht habe, CDs sind zu teuer.
Aber heute hab ich es gemacht - weil ich "Wir sind Helden" so gerne mag, dass ich ihre Musik kaufen und nicht mopsen wollte.
Und was passiert der kleinen, dummen Phae? Nachdem ich das Ding drei mal in meinen Händen gedreht habe und mich endlich durchringen konnte, sie zu kaufen, bin ich ganz froh zur Kasse gegangen. Ohne sie mal aufzumachen und reinzugucken.
Das wäre aber eine gute Idee gewesen, es waren nämlich zwei CDs darin. "Oh, cool", denke ich, als ich sie in den Händen des Kassieres sehe "zwei CDs. Eine extra. Das wußte ich ja gar nicht." Ja, tatsache. Es gibt sie noch, die naiven Lämchen.
Hat ein bisschen gedauert, bis mir bewúßt wurde, dass die zweite CD ganz anders aussah. Layouttechnisch. Dass die nicht dazu gehörte. "Warum ist die denn da drin?" fragt der Verkäufer mich scharf. Die Leute hinter mir gucken. "Weiß ich nicht." sage ich hoffentlich-selbstbewußt und klinge eine Spur zu unschuldig. "Ich hab gar nicht reingesehen."
Wenn ich was ausgefressen oder zu verbergen habe, kann ich ganz toll lügen. Aber was sagt man denn, wenn man unschuldig in so eine Situation gerät? Der Kassierer hat sich seinen Teil gedacht (Diebin!) und mich ziehen lassen. Und ich finde, ich sollte einfach ins Bett gehen, bevor dieser Tag mir den Rest gibt.
Das Wetter war schön und wir haben einen Spaziergang gemacht. Zum Strand.
Ich muss wohl wirklich ein bisschen erwachsen geworden sein, unbemerkt, denn ich bin auch einmal eine Phae, die Spaziergänge genießt und stundenlang damit beschäftigt sein kann, sich über Herbstlaub zu freuen. Und den blauen Himmel, die Möwen, das Meer, den Wind... Muscheln haben wir gesammelt, Strömungen bestaunt und warme Mützen anprobiert. Und alles war wunderschön und ein bisschen wehmütig, denn bald wird es uns wegziehen, aus der Stadt, in der man an wamen Sonntagen an den Strand fahren kann. Das Meer wird fehlen, wenn ich mal nicht mehr in Rostock bin. Das Meer... und so viele andere Dinge.
In diesem Semester habe ich eine neue, verantwortungsvolle Aufgabe, die viel Energie erfordern wird. Und Vorbereitung. Deshalb sitze ich heute um fast 22 Uhr immer noch am Rechner und treffe auf erste Hürden... Wie krieg ich meine tollen Schemata jetzt auf durchsichtiges Plastik?
[21:19] Phae: öh... hab ich nen Laserdrucker?
[21:19] Phae: ich weiß das gar nicht o.O
[21:19] Der Tenor: *lol*
[21:19] Der Tenor: hast du schonmal laser nachkaufen müssen?
[21:20] Phae: nein...
[21:20] Der Tenor: sondern?
[21:20] Phae: patronen...
[21:21] Der Tenor: mit was drin?
[21:21] Phae: Tinte...
[21:21] Der Tenor: aha!
Jaja. Soo toll, dass ich nen super Job angeboten bekommen habe, aber zu doof, zu wissen, was bei mir unter dem Schreibtisch steht. Ich finde, damit habe ich voll das Zeug zum Prof. *g* Und jetzt weitermachen, die Folien müssen morgen fertig sein.
Nachtrag: nur so ein Gedanke beim Bettenbeziehen und Musicalhören.
Wenn
Phantom Erik als Personifizierung statt als Person verstanden werden kann... dann ist er vielleicht auch die wirre, überzogene Vorstellung von Liebe, die junge Menschen haben. Raoul, der nette, hübsche Junge von nebenan, liebt Christin und macht eine Menge für sie durch. Aber auch Erik liebt sie: auf eine kranke, viel zu intensive Art, die beiden - das ist jedem klar - nur schaden kann. Er verehrt sie, sie ist alles für sie, ohne sie kann er nicht leben und es bringt ihn fast um, vor Verzückung, als er ihre Füße küssen darf. Damit entspricht er streng genommen den ideologischen Rahmenbedingungen für Liebe, mit denen wir alle aufwachsen. Dem Ideal, dass wir aus unzähligen Geschichten, Märchen und Disneyfilmen mitnehmen... und von dem wir erst mal, wenn das mit der Liebe für uns real zu werden beginnt, wieder runterkommen müssen.
Es ist komisch, so ganz entspannt weiterzublocken, wenn der Tenor um mich herum läuft. Einen Titel für einen Eintrag zu suchen und ihm dabei abwesend ins Gesicht zu starren. Früher hatte ich immer noch ein Alibifenster auf, in das ich hektisch rübergewechselt habe, wenn er auf einmal überrascend hinter mir auftauchte.
Jetzt, wo wir über Entr'Acte reden, ist das nicht mehr nötig. Und doch - es mutet seltsam an. Irgendwie ist es, als sollte ich zumindest so tun, als wäre es geheim und heimlich. Der alten Zeiten willen. Weil es sich nicht gehört, beim bloggen beobachtet zu werden. Oh, er kommt!
Mein Vater sagt, ich hab diese Kopfschmerzen von dem Familienzweig meiner Mutter, bei ihm gab es so etwas nicht. Kopfschmerzgene, also. Wenn das so ist, dann gab es sie wahrscheinlich zu den "Basteln"-Genen, den "Schreiben"-Genen und den "Zeichnen"-Genen dazu... "Kreativ"Gene also, Wenn das so ist, sollte ich sie als Teil von mir akzeptieren, als Teil meiner Identität.
Aua. Scheiß Identität.
Faszinierend, wie viele Menschen, das Talent besitzen, einen dann im Chat anzusprechen, wenn man gerade schnell los will.
In "die Letzten Ihrer Art" schreibt Douglas Adams darüber, wie er nach China muss. Davor hat er Angst, denn China ist so furchtbar anders als Europa, dass er schon im Vorfeld nicht weiß, wie er sich dort zurecht finden und verhalten soll. Mit der Kulturirritation klarkommen. Seine Art, dem Problem entgegenzutreten, ist die, dass er sich selbst einfach völlig unwahrscheinlich benimmt und ganz anders als sonst, nur um nicht von dem unwahrscheinlichen, anderen Benehmen der Chinesen aus der Bahn geworfen zu werden. Mit dem Vorhaben fängt er an, indem er auf der Flugreise nach China jede angebotene Duty-Free Parfumflasche kauft - einfach, weil er sonst nie eine kaufen würde.
Manchmal hab ich das Gefühl, zu verstehen, dass das irgendwie Sinn macht. Dass ich auch so bin. Wenn ich gelernt habe, dass ich in meinem Verhalten Fehler mache und mich dann einfach willkürlich anders verhalte - auch wenn ich das früher nie gemacht hätte. Es ist, als wüßte man, dass ein Weg versperrt ist und rennt blind in die entgegen gesetzte Richtung, egal was kommt.
Oh man... hoffentlich versucht gleich niemand, mir Parfum zu verkaufen.
"Warum weinst Du?" ist wahrscheinlich die blödeste Formulierung der Welt. Na gut, meistens. Wenn man weint, dann gibt es doch meistens ein wabbeliges Gründe-Bündel im Hintergrund aus vielen Faktoren, die einem das Leben schwer machen und die alle mit Schuld sind. Streß zum Beispiel. Dass man sich für eine Zukunft entscheiden muss und keinen Plan hat. Dass man unbedingt glücklich werden muss und viel zu viel falsch machen kann. Die falsche Stadt, zum Beispiel. Die falsche Uni. Die falsche Spezialisierung. Den falschen Beruf. Es könnte sein, dass man in einem kleinen Büro-Loch endet und nie sein Potential erreicht oder von der Arbeit ausgefüllt wird und dazu verdammt ist, sein Leben lang diejenigen zu hassen, die was tolles machen und kreativ oder wichtig sein dürfen. Es könnte aber auch sein, dass man sich zu viel zumutet undsich selbst zu überanstrendender Arbeit verdammt, zu nie endendem Leistungsdruck, zu Nächten im Büro und Hassgefühlen gegen den eigenen Computer, weil man darauf irgendwas fertig schreiben muss, was man nicht kann.
Es gibt also sehr viele Dinge, die man falsch machen kann. Und wie auch immer man sich entscheidet - man ist selbst schuld.
So gesehen ist es gut, dass ich von einer Entscheidung meilenweit entfernt bin und nicht mal weiß, wo ich mit dem Denken anfangen soll.
Und wenn man dann noch drei Stunden in einem Korridor sitzen gelassen wird, sinnlos, von den Institutionen vergessen und von dem Arzt, der nach 2 Stunden wieder kommen wollte, aber nicht kam... dann wird dem Bündel ein weiterer Grund hinzugefügt und das Fass läuft über. Gut, dass der Himmel gleichzeitig übergelaufen ist, ich konnte mich wie ein Chamäleon im Wetter tarnen und niemand hat was gemerkt. Gut so. Ich hätte auch - wie fast immer - nicht gewußt, was ich antworten soll, wenn einer fragt.